Diskriminierung wenn kein Präventionsverfahren durchgeführt wurde?
Präventionsverfahren? Die meisten Arbeitgeber haben noch nie davon gehört. Gerade Arbeitgeber, die Schwerbehinderte beschäftigen sollten aber wissen was mit Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX gemeint ist und was sie in diesem Zusammenhang wissen und beachten müssen. Auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Diskriminierung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers sollten sich Arbeitgeber einmal mit diesem Thema beschäftigt haben.
Präventionsverfahren
Arbeitgeber sind zur Prävention in ihren Betrieben und Dienststellen verpflichtet! Sie müssen beim Eintreten von Schwierigkeiten, die das Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis mit einer schwerbehinderten Person gefährden können, frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebs- oder Personalrat und das Integrationsamt einschalten (§ 84 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – SGB IX). Die Verpflichtung trifft alle Arbeitgeber, öffentliche und private, unabhängig von der Beschäftigungspflicht.
Dem Arbeitgeber wird durch diese Verpflichtung eine Rolle zugewiesen, die zu einem eine pro-aktive ist und die sich zum anderen aus der gesteigerten Fürsorgepflicht gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmern ergibt. Eine Verletzung dieser Pflicht führt dazu, dass der Arbeitgeber darlegen und beweisen muss, dass trotz fehlendem Präventionsverfahren alle zumutbaren Möglichkeiten zur Abwendung der Kündigung ausgeschöpft worden sind.
Allerdings ist die Durchführung eines Präventionsverfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch keine „Wirksamkeitsvoraussetzung“ einer Kündigung, so dass eine dennoch ausgesprochene Kündigung nicht per se unwirksam ist.
Wartezeit
Der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis beim Zugang der Kündigung noch nicht länger als sechs Monate ununterbrochen bestanden hat. Damit ist im ersten halben Jahr die Zustimmung des Integrationsamtes für die wirksame Kündigung eines Schwerbehinderten nicht erforderlich (§§ 85, 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).
Ob die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG auch für das Präventionsverfahren gilt war unter Fachleuten bisher durchaus umstritten, obwohl die Mehrheit davon ausging, dass auch hier den Arbeitgeber die Verpflichtung zur Durchführung in den ersten 6 Monaten eines Arbeitsverhältnisses nicht trifft.
Das Bundesarbeitsgericht hatte hierüber in einem aktuellen Fall zu entscheiden.
Aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Die mit einem Grad von 50 schwerbehinderte Klägerin war seit dem 1. Oktober 2012 beim beklagten Land als Leiterin der Organisationseinheit Qualitätsmanagement/Controlling des Landeskriminalamts (LKA) beschäftigt. Die Parteien hatten im Arbeitsvertrag eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart.
In einem Personalgespräch am 11. Februar 2013 teilte der Präsident des LKA der Klägerin mit, dass er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Probezeit zu beenden. Mit Schreiben vom 8. März 2013 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2013. Die Klägerin hat diese Kündigung nicht mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen.
Im vorliegenden Verfahren macht sie einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Sie meint, das beklagte Land habe sie dadurch, dass es das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX nicht durchgeführt habe, wegen ihrer Schwerbehinderung diskriminiert. Das Präventionsverfahren sei eine besondere Schutzmaßnahme zur Vermeidung von Nachteilen für Schwerbehinderte sowie eine „angemessene Vorkehrung“ iSv. Art. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und des Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG. Werde eine solche Vorkehrung nicht getroffen, sei dies als Diskriminierung zu werten. Dadurch, dass das beklagte Land das Präventionsverfahren nicht durchgeführt habe, sei ihr die Möglichkeit genommen worden, etwaige behinderungsbedingte Fehlleistungen zu beheben.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX selbst ist keine „angemessene Vorkehrung“ iSv. Art. 2 UN-BRK und des Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG. Zudem ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses (Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG) ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 21. April 2016 – 8 AZR 402/14 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 17. März 2014 – 1 Sa 23/13 –